Warum Sie einen Muskelkater vermeiden sollten
Ob Nordic Walking oder Sprint, ob Kniebeuge oder Krafttraining – Hauptsache, der Mensch bewegt sich. Schmerzverzerrte Gesichter im Sportstudio oder nach dem Marathon zeugen jedoch vom anderen Ende der menschlichen und obendrein freiwilligen Leidensfähigkeit: Sport! Muss! Weh! Tun! Muss er das wirklich? Darf er das überhaupt?
Muskelkater ist ein Warnsignal. „Stopp!“ schreit der Körper. „Das war mir zu viel. Leg bitte eine Pause ein.“ Dabei hätte er es gar nicht so deutlich sagen müssen – die Schmerzen sprechen schließlich Bände: Wenn einige Stunden nach dem Sport jede Bewegung weh tut, war’s zu viel.
„Bei einem Muskelkater handelt es sich um kleinste Verletzungen der Muskulatur auf molekularer Ebene“, erklärt. Tobias Kasprak. Der Sportwissenschaftler erklärt Laien auf der sympathisch unspektakulären Internetseite „Dr. Gumpert“ medizinische Sachverhalte. „Vor allem Muskeln, die nicht oft beansprucht werden, sind besonders anfällig für einen Muskelkater.“ Der sei ein Anzeichen dafür, dass diese Muskelgruppe nicht ausreichend gekräftigt ist und dort ein Training sinnvoll ist.
Muskelkater von vornherein verhindern
Dabei sollte ein ausgewogenes Training zwischen Agonist und Antagonist im Mittelpunkt stehen – also zwischen Muskeln, die entgegengesetzt arbeiten. „Natürlich darf man am nächsten Tag im Muskel spüren, dass trainiert wurde“, so Kasprak. Besser sei es jedoch, den schmerzenden Muskelkater durch die Wahl der richtigen Trainingsintensität von vornherein zu verhindern.
Ist der Muskelkater da, ist – zumindest für diesen Teil des Körpers – Erholung angesagt. Wärme in Form von Sauna oder heißen Bädern kann bei der Regeneration helfen. „Wissenschaftlich bestätigt ist das jedoch nicht“, so Kasprak. Auch eine ganz leichte Betätigung im betroffenen Muskel fördert die Durchblutung. Hartes Training ist für Tobias Kasprak dann auf jeden Fall tabu – wie Massagen auch.
Das Schöne am Muskelkater: An ihm kann sich niemand eine goldene Nase verdienen. Es gibt keine Tests, die ein Mediziner vornehmen könnte. Kein Arzt kann die Symptome kleinreden oder wegdiskutieren. Es zählt allein das, was der „Besitzer“ darüber erzählen kann. „Die Schmerzen klingen nach einigen Tagen von selbst wieder ab“, so Kasprak. „Eine Therapie gibt es nicht.“ Was hilft, sei einzig und allein das Warten: „Ein Muskelkater bildet sich nach etwa sieben Tagen vollständig zurück.“ Folgeschäden: Fehlanzeige.
Hilfe bei längerem Muskelkater
Bei anhaltenden Schmerzen über länger als zwei Wochen sollte dann aber doch ein Fachmann zu Rate gezogen werden, der andere Verletzungen der Muskulatur oder des Sehnenapparates ausschließen kann. Zerrungen oder Muskelfaserrisse lassen dem ambitionierten Sportler ohnehin nicht lange Zeit: Sie treten nicht erst 12 bis 24 Stunden nach dem Training auf, sondern sofort.
Kasprak räumt außerdem mit einem alten Irrtum auf: „Wissenschaftlich ist nicht bewiesen, dass Dehnübungen einen Muskelkater verhindern.“ Vielmehr würden sogar Studien existieren, die das Gegenteil zeigten. Kaspraks Rat: „Da nach hartem Training bereits kleine Verletzungen im Muskel vorliegen sollte auf das Dehnen verzichtet werden.“
Sportmediziner und Physiotherapeuten kennen aber auch „übertragene Schmerzen“, die zunächst seltsam erscheinen. Kein Wunder: „Nach Erfahrungen von Physiotherapeuten liegt bei vier von fünf Patienten die Ursache der Muskelschmerzen nicht am Ort der Schmerzwahrnehmung“, so Ute Repschläger, Vorsitzende des Bundesverbands selbstständiger Physiotherapeuten. So könnten Nackenschmerzen vom Rücken kommen.
Übertraining der Übertreiber
Für den Physiotherapeuten bedeutet das, dass er vor der Behandlung den Patienten selbst noch einmal gezielt untersuchen muss. Und das kann wehtun: Er sucht nach verspannten Muskelfasern und „ärgert“ sie mittels Druck. Damit versucht er, beim Patienten genau die Schmerzen hervorzurufen, wegen derer er bei ihm ist.
Neben übertragenen Schmerzen gibt es jedoch auch die Erkrankung der Übertreiber: das Übertraining. Eine latent zu hohe Dosis setzt dem Körper zu. Er reagiert erst mit stagnierender, später mit sinkender Leistung – was der ambitionierte Freizeitathlet schnell falsch deutet und in noch mehr Training ummünzt. Was folgt, sind Schlafstörungen, Kopfschmerzen und nicht zuletzt Stress. Eine zu lange gleichbleibende Leistungsfähigkeit kann jedoch auch ihre Ursache im dann doch monotonen oder nicht ausreichend fordernden Trainingsplan haben.
Wie beim Muskelkater gibt es auch gegen das Übertraining kein Medikament. Kasprak empfiehlt, auf Nahrungsergänzungsmittel oder Antidepressiva zu verzichten. Sein Tipp: eine andere Sportart – zumindest für einige kurze Zeit.
Krämpfe – Fehlzündungen zwischen Nerven und Muskeln
Jenseits eines Muskelkaters warten auf den Freizeitsportler oft auch Muskelkrämpfe, die dem Betroffenen einen ordentlichen Schrecken einjagen können. Ihre Ursachen sind unter Wissenschaftlern umstritten. Klar scheint: Es liegt nicht daran, dass es dem Athleten an Flüssigkeit mangelt. Vielmehr klappt offensichtlich das Zusammenspiel von Nervenimpuls und Reaktion der Muskeln nicht richtig. Die motorischen Nerven sind reizbarer als sonst – und sorgen für überschießende Muskelkrämpfe. Besser als Magnesium helfen laut Physiotherapie-Expertin Ute Repschläger passive Dehnungen oder Sportmassagen, die die Durchblutung fördern.
Anderen Freizeitsportlern sind Krämpfe und Schmerzen fast egal: Gar nicht selten wollen sie ihren Körper mit rezeptfreien Medikamenten zu Höchstleistungen treiben. Beim Halbmarathon soll ein Schmerzmittel dafür sorgen, dass erst gar kein Schmerz auftritt. Wer trotz Schmerzen Sport treibt, riskiert langfristige Schäden. Sportmediziner der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention appellieren deshalb auch an Freizeitsportler: „Wer Schmerzen hat, sollte in jedem Fall einen Arzt oder Sportarzt aufsuchen. Wer verletzt ist, sollte seine Blessur auskurieren und auf andere Sportarten wie Aquajogging ausweichen.“
Schmerzmittel vor dem Wettkampf?
Für die Experten haben die Helfer aus der Hausapotheke ohnehin keinen Nutzen: „Es ist nicht gesichert, dass die so genannten nicht steroidalen Schmerzmittel überhaupt eine Verbesserung oder schmerzfreie Leistung ermöglichen“, sagen die Sportmediziner. „Bei Verschiebungen im Salzhaushalt, die bei langen Ausdauerleistungen vorkommen, können Schmerzmittel sogar zu akuten Schäden führen.“ Eine längere Einnahme und besonders bei möglichen Erkrankungen könnten Herz- und Nierenschäden auftreten. Schäden an der Magenschleimhaut mit Blutungen drohen. Patienten mit Herzkrankheiten, Bluthochdruck oder Zuckerkrankheit seien ebenfalls durch diese Schmerzmittel gefährdet.
Wie weh darf Sport also tun? Tobias Kasprak empfiehlt den defensiven Weg: „Sportliche Aktivitäten sollten im Normalfall keinen Schmerz auslösen.“ Würden während oder nach dem Training regelmäßig Schmerzen auftreten, müsse davon ausgegangen werden, dass die Bewegungen nicht richtig ausgeführt wurden. Dann ist eine sportwissenschaftliche oder ärztliche Beratung notwendig.
Ein bisschen Muskelkater aber – der darf sein. „Meist ist nun mal eine gewisse Intensität nötig, um den Muskeln einen Wachstumsreiz zu setzen“, so Kasprak. „Und das äußert sich eben in ziehenden Schmerzen während des Trainings oder einem Muskelkater danach.“